Strukturzuschläge der gesetzlichen Krankenkassen
Im September 2015 wurde vom „Erweiterten Bewertungsausschuss“[1] beschlossen, fleissige Psychotherapeuten zu „belohnen“. Wenn eine psychotherapeutische Praxis zu 50% ausgelastet ist, bekommt der Psychotherapeut für jede Sitzung einen Zuschlag. Mit dem Strukturzuschlag soll Psychotherapeuten die Möglichkeit gegeben werden, ihre höheren Aufwendungen, z.B. für eine Bürokraft, auszugleichen. Hierfür wurden die Ziffern 35251, 35252, 35253 geschaffen. Im Klartext bedeutet das:
Für jede
- psychotherapeutische Einzelsitzung gibt es 143 Punkte gleich 14,92 Euro
- Gruppensitzung (große Gruppe 9 Teilnehmer) 58 Punkte gleich 6,05 Euro
- Gruppensitzung bei Kindern oder Jugendlichen (kleine Gruppe 3 bzw 5 Teilnehmer) 114 Punkte gleich 11,90 Euro
gibt es extra zu den üblichen Honoraren[2]. Für eine Einzelsitzung gibt es dann 102,69 Euro.
Die Strukturzuschläge müssen auch nicht beantragt oder im Abrechnungesprogramm eingegeben werden. Sie werden automatisch von der KV bei der Abrechnung „zugeschlagen“. Hört sich zunächst gut an. Aber hat die Sache auch einen Haken? Die Antwort ist ein klares Nein. Die Sache hat nicht einen Haken, sondern gleich mehrere!
Haken 1: der Strukturzuschlag wird quartalsweise berechnet. Um ihn zu bekommen benötigt ein Psychotherapeut in dem Quartal mindestens ein Volumen von 162.735 Punkten. Das entspricht, ein wenig aufgerundet 194 Sitzungen pro Quartal (ø 17 Sitzungen pro Woche[3])
Haken 2: der Strukturzuschlag wird nur für die genehmigten Sitzungen bezahlt
Haken 3: Für die erforderliche Sitzungszahl werden auch nur die genehmigten Sitzungen berücksichtigt, probatorische Sitzungen, psychotherapeutische Gespräche, Anamnese, Testverfahren, Antragsberichte werden nicht berücksichtigt.
Haken 4: Urlaubszeiten des Therapeuten werden nicht berücksichtigt, als anteilsmäßig von der erforderlichen Sitzungszahl abgezogen.
Haken 5: den vollen Zuschlag gibt es nur bis zu einer Obergrenze von 325.468 Punkten, also 387 Sitzungen pro Quartal (ø 34 Sitzungen pro Woche), danach gibt es ab der 388. Sitzungen den halben Zuschlag. Bei 379.712 Punkten oder 451 Sitzungen im Quartal (ø 39 pro Woche) ist Schluß: ab der 452. Sitzung je Quartal gibt es keine Zuschläge mehr.
Haken 6: Werden bei einer Prüfung durch die KV nachträglich Sitzungen gestrichen, werden die Strukturzuschläge auch neu berechnet. Viele Kollegen dürften die Strukturzuschläge nur knapp erreichen. Und dann können schon einige gestrichene Sitzungen dazu führen, dass der Kollege unter die erforderliche Sitzungszahl fällt. Dann muss er nicht nur die gestrichenenen Sitzungen erstatten, sondern sämtliche Strukturzuschläge für dieses Quartal.
Ich glaube, dass wir den „5. Haken“ getrost vernachlässigen dürfen. Es geht ja um die genehmigungspflichtigen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen.
Bewertung: ein gut gemeinter Versuch. Aber anderseits auch wieder eine zweite Ohrfeige für Psychotherapeuten. Denn hier werden nur die genehmigten Sitzungen als „echte Therapie“ bewertet. Die probatorischen Sitzungen und die psychotherapeutischen Gespräche scheinen „mindere Leistungen“ zu sein. Ich glaube nicht, dass ich weiter begründen muss, dass probatische Sitzungen ein wichtiger Bestandteil der Gesamttherapie sind, wie wichtig die Diagnostik und Konzeptualisierung der Therapie sind und dass gerade probatorische Sitzungen ein höheres Mass an Aufmerksamkeit und psychotherapeutischer Handlungsbereitschaft erfordern, als die Sitzungen einer genehmigten Psychotherapie. Mit den Strukturzuschlägen werden die probatischen Sitzungen nicht mehr um 26% sondern um 37% abgewertet. Gelinde gesagt: eine Frechheit!
Wer wirklich die Zuschläge bekommen will, muss vermutlich 20 bis 25 Sitzungen pro Woche erbringen, um die Zuschläge zu erhalten, da neben den genehmigten Sitzungen auch noch probatorische Sitzungen, Anamnesen und Antragsberichte anfallen.
Auszug aus dem Buch: Adler, D. (2017): Das Praxishandbuch. Psychosozial-Verlag. Giessen.
[1] Ein Bestandsteil des "Ärzte- und Psychotherapeuten-Verwirrsystems"
[2] Stand 2. Quartal 2016
[3] berechnet auf 6 Wochen Jahresurlaubszeit. In der Regel machen Psychotherapeuten jedoch länger „Urlaub“, weil sie eine höheren psychohygienischen Regenerationsbedarf haben.